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Kann mit der Ernennung zum «höheren leitenden Angestellten» die Pflicht zur Zeiterfassung umgangen werden?

Simon Grenacher
Mittwoch, 16. März 2022

Immer mal wieder finden sich in der Praxis Arbeitsverträge, in welchen der Arbeitnehmende als «höherer leitender Angestellter» eingestuft wird. Nicht selten wird damit die Absicht verfolgt, das Arbeitsgesetz auszuschliessen und damit eine Reihe von unliebsamen gesetzlichen Vorschriften nicht einhalten zu müssen. Doch, wieso ist das so?

Das Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG) ist grundsätzlich nicht auf Arbeitnehmende anwendbar, die eine höhere leitende Tätigkeit ausüben (Artikel 3 lit. d ArG).

Damit untersteht diese Personengruppe nicht den Vorschriften zu Arbeits- und Ruhezeiten. Auf sie sind somit die gesetzlich festgelegten wöchentlichen Höchstarbeitszeiten, Nacht- und Sonntagsarbeitsverbote und Mindestruhezeiten nicht anwendbar. Folglich gelten auch die Vorschriften zur Überzeit für sie nicht und sie sind auch nicht zur lückenlosen Erfassung ihrer Arbeitszeiten verpflichtet. Der Grund liegt darin, dass höhere leitende Angestellte für ihre Arbeitgeber weitgehend frei verfügbar sein sollen und somit wegen ihrer besonderen Stellung im Betrieb nicht des öffentlich-rechtlichen Schutzes des Arbeitsgesetzes bedürfen.

Wer gilt als höherer leitender Angestellter?

Allerdings längst nicht jeder Arbeitnehmende, welcher in seinem Vertrag als höherer leitender Angestellter tituliert wird, ist auch ein solcher.

Was unter einer höheren leitenden Tätigkeit zu verstehen ist, definiert Artikel 9 der Verordnung Nr. 1 zum Arbeitsgesetz.

Demnach gilt, dass eine höhere leitende Tätigkeit ausübt, «wer auf Grund seiner Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des Betriebes über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügt oder Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung eines Betriebes oder Betriebsteils einen nachhaltigen Einfluss nehmen kann.»

Mit dieser gesetzlichen Definition ist gleichzeitig viel und trotzdem wenig Konkretes gesagt. Die Abgrenzung zum normalen leitenden Angestellten ist im Einzelfall selbst für den juristischen Profi schwierig, was sich in den einschlägigen Praxis des Bundesgerichts regelmässig zeigt. Zudem handelt es sich bei Artikel 3 lit. d Arbeitsgesetz um eine Ausnahmebestimmung. Im Zweifel ist daher eher nicht von einer «höheren leitenden Tätigkeit» auszugehen.

Die Beurteilung, ob ein höherer leitender Angestellter vorliegt, muss im Einzelfall anhand sämtlicher massgebender Umstände des Arbeitsverhältnisses vorgenommen werden. Die Funktionsbezeichnung im Vertrag, auf der Visitenkarte oder im Organigramm, die hierarchische Stellung im Unternehmen oder eine bestimmte Ausbildung sind für sich allein unerheblich. Das Gesetz stellt ausdrücklich auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit und die Berechtigungen des Arbeitnehmenden ab. Entscheidend ist demnach, ob der Arbeitnehmende, die ihm auf Grund seiner Stellung im Unternehmen eingeräumte Entscheidungsbefugnis tatsächlich ausübt oder nicht.

Was sind weitreichende Entscheidungsbefugnisse?

Der gesetzliche Begriff «weitreichende Entscheidungsbefugnis» beinhaltet, dass der fragliche Arbeitnehmende selbständig Entscheide in wesentlichen Belangen des Unternehmens treffen kann und darf. Diese Entscheide müssen geeignet sein, den Gang oder die Struktur des Unternehmens mindestens in einem hauptsächlichen Teil nachhaltig zu bestimmen. In Frage kommen etwa Entscheide über die Einstellung oder den Einsatz des Personals, die Einteilung der Arbeitszeiten im Unternehmen oder für eine grössere Zahl Mitarbeiter, die Lohnpolitik, Grundsatzfragen der Geschäftspolitik und der Strategie des Unternehmens.

Selbstredend, dass dies für «einfache» Teamleiter, für Projektleiter oder auch für Leiter von Funktionsbereichen ohne Personalverantwortung in aller Regel nicht der Fall sein wird.

Kriterien zur Abgrenzung

Weitere Kriterien zur Bestimmung des Arbeitnehmenden als Angestellten mit höherer leitender Tätigkeit können zudem sein:

  • Unterschriftsberechtigung für das Unternehmen (insbesondere kann ein Mitarbeitender ohne Unterschriftsberechtigung keine Entscheide gegen aussen umsetzen).
  • Besondere Vertrauensposition im Unternehmen.
  • Hierarchische Stellung unter Berücksichtigung der Grösse dieser Hierarchiestufe im Vergleich zur Gesamtbelegschaft.
  • Anzahl unterstellter Mitarbeiter und das Ausmass des Weisungsrechts.
  • Verantwortung über eine Unternehmenseinheit, namentlich hinsichtlich Definition von Jahreszielen, Festlegung oder Einhaltung des Budgets und anderer Unternehmenskennzahlen.
  • Höhe des Lohns.

Keines der oben genannten Kriterien für sich allein bestimmt allerdings in der Regel die Qualifikation zum Angestellten mit höherer leitender Tätigkeit.

Auch die Grösse des Unternehmens kann eine Rolle spielen. Das Bundesgericht kam in einem Entscheid zum Schluss, dass in sehr kleinen Unternehmen, bei dem alle Angestellten im Wesentlichen dieselben – meist wehr weitreichenden – Arbeiten verrichten, keinem der Angestellten allein deswegen der Status eines höheren leitenden Angestellten zukommt. Es braucht hierfür immer eine entsprechende Struktur und Hierarchie.

In aller Regel gelten Geschäftsführer, Bereichsleiter und Leiter anderer Unternehmenseinheiten mit massgeblichen Einfluss auf den Geschäftsgang als Angestellte mit höher leitender Tätigkeit. Die oben genannten Kriterien zur Abgrenzung sind aber auch in diesen Fällen relevant.

Gibt es Arbeitszeitbeschränkungen für höhere leitende Angestellte?

Höhere leitende Angestellte sind hinsichtlich der Bestimmungen des Arbeitsgesetzes nur den Bestimmungen zum Gesundheitsschutz unterworfen. Damit gilt, dass ihre Gesundheit im Allgemeinen (Art. 6 Arbeitsgesetz) und diejenige von Arbeitnehmerinnen bei Mutterschaft im Besonderen (Art. 35 f. Arbeitsgesetz) zu schützen ist.

Somit beurteilt sich die zulässige Höchstarbeitszeit für höhere leitende Angestellte allein nach der Frage, ob eine Gesundheitsgefährdung oder eine Überbeanspruchung des fraglichen Arbeitnehmenden vorliegt. Von der Pflicht zur lückenlosen Erfassung ihrer Arbeitszeiten sind sie aber in jedem Fall gesetzlich entbunden.

Praxisrelevanz der Abgrenzung

Wegen der Nichtanwendbarkeit der Höchstarbeitszeiten, und damit die fehlende Überzeitentschädigung gemäss Arbeitsgesetz, ist in der Praxis die Abgrenzung vom höheren leitenden zu den übrigen (leitenden) Angestellten gemäss Obligationenrecht von hoher praktischer Relevanz. Gerade in diesem Zusammenhang werden Mitarbeitende daher oft unzulässiger Weise von ihren Unternehmen als höhere leitende Angestellte bezeichnet.

Die Abgrenzung des höheren leitenden Angestellten bleibt trotz der oben erwähnten Kriterien oftmals schwierig. Im Zweifel entscheidet grundsätzlich die kantonale Arbeitsbehörde über die Anwendbarkeit des Arbeitsgesetzes auf ein Arbeitsverhältnis (Art. 41 Abs. 3 Arbeitsgesetz).

Fällt ein Arbeitsverhältnis nicht unter das Arbeitsgesetz, empfiehlt es sich, die bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen und die arbeitsvertraglichen Regelungen entsprechend den bestehenden grösseren Freiheiten auszugestalten. Es besteht namentlich die Möglichkeit, die Überstunden- und Überzeitentschädigung auszuschliessen. Solche Regelungen sollten dann im Vertrag sorgfältig formuliert werden.

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